«Viele Menschen merken gar nicht, dass sie Unterstützung brauchen»


Ob Schlafstörungen, Magendarmprobleme oder Gereiztheit: Die Anzeichen für psychische Probleme sind vielfältig. Der Psychiater Julius Kurmann erklärt im Video, was es zu beachten gilt und wie man Hilfe annehmen kann.
 

«Ich hätte nicht gedacht, dass mir das passiert.» Das hört Julius Kurmann oft. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie betreut seit Jahrzehnten Personen, die wegen Stress am Arbeitsplatz Unterstützung brauchen. Für ihn ist klar: Vielfach braucht es für Betroffene einen Anstoss von aussen. Denn: «Viele Menschen, die eigentlich Unterstützung im Arbeitsprozess benötigen, merken das gar nicht.» Sie würden einfach weiter funktionieren, vielleicht merkten es dann die Angehörigen.
 

 

Für Julius Kurmann ist eine Frage zentral: «Wie können wir eine Kultur entwickeln, damit die Leute das auch merken und sie sich trauen, darüber zu sprechen?» Denn in der heutigen Gesellschaft herrsche eine Kultur, in der man meine, jeder müsse für sich sein. Auch das leistungsorientierte Denken ortet er als Grund: «Ich muss es doch selber können», würden sich viele Leute sagen. Aber das gelte es abzulegen.» Er plädiert für den Dialog mit anderen Leuten: «Korporation macht mehr Sinn und man kommt damit weiter.»
 

Vorgesetzte sollen Anzeichen wahrnehmen

Vorgesetzte Personen und auch der Arbeitgeber haben laut Julius Kurmann eine Verantwortung für das Wohlergehen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gute Arbeitsplätze und -instrumente seien wichtig. «Aber es muss jeder auch auf sich selbst schauen.» Diese Verantwortung könne man auch als vorgesetzte Person dem Mitarbeitenden nicht abnehmen.

Was ein Vorgesetzter aber tun könne: Anzeichen von psychischen Problemen wahrnehmen und mit dem Mitarbeitenden in einen Dialog treten. Wegschauen oder es aussitzen helfe nicht.
 

Sich im Team gegenseitig unterstützen

Doch wie schafft man es, das Vertrauen am Arbeitsplatz herzustellen? Der Psychiater sagt, zwei Faktoren seien für eine solche Kulturentwicklung entscheidend: Einerseits das Vorleben der Vorgesetzten – «dass sie auch mal darüber reden, wo sie an ihre Grenzen kommen. Denn jeder von uns kommt irgendwann mal an seine Grenzen.» Anderseits brauche es ab und zu im Team eine Diskussion darüber, wie es einem am Arbeitsplatz gehe, wo man an die Grenzen komme und wo man andere unterstützen könne.

Die Symptome von psychischen Problemen äussern sich gemäss Kurmann sehr unterschiedlich: Von Schlafstörungen über Magendarmprobleme und Kopfweh bis hin zu Gereiztheit gebe es alles. Sein Rat: «Findet heraus, was euch stresst und was es für Auswirkungen hat.» Dann könne man schauen, ob und wie man diese Stresssituationen vermeiden kann, vielleicht auch zusammen mit anderen Leuten. Es gehe primär darum, sich zu spüren. Erst in einem zweiten Schritt gehe es darum, sich professionelle Hilfe zu holen, wobei das nicht immer nötig sei.

Wichtig für den Experten: «Beginnt, auf euch Acht zu geben.»
 


Auf welche Signale sollte das Arbeitsumfeld achten?

Arbeitskolleginnen und -kollegen sind oft die ersten, welche psychische Probleme am Arbeitsplatz bemerken. «Man merkt es bei den Leistungen», sagt Julius Kurmann. Es würden Fehler gemacht, man komme zu spät an Sitzungen, vergesse Dinge. Auch das Hinausschieben von Arbeiten oder orthografische Fehler, die man sonst nicht mache, seien Anzeichen für psychische Probleme.

Auch ein verändertes Sozialverhalten könne darauf hindeuten. Wenn man beispielsweise nicht mehr mit den Arbeitskollegen in die Znüni- oder Mittagspause geht oder bei Teamanlässen nicht mehr dabei ist. Als dritter Hinweis gibt es laut dem Experten emotionale Zeichen: Wut, Dünnhäutigkeit, wenn man schnell ausruft oder negativ ist.

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