«Vorschlafen oder nachschlafen funktioniert nicht»

 

Guter Schlaf hat einen enormen Einfluss auf unsere Gesundheit. Da gibt es keine zwei Meinungen. Doch viele Tipps und «Weisheiten», die man rund ums Thema so hört, stimmen nur teilweise – oder gar nicht. Wir haben mit einem Mann gesprochen, der sich bestens auskennt: Dr. med. Sebastian Zaremba, Chefarzt der Klinik für Schlafmedizin bei ZURZACH Care in Luzern. Wir haben ihn besucht – und mit ihm über Lerchen, Eulen, und schlaflose Manager gesprochen. Auch darüber, was für guten Schlaf wirklich förderlich ist – und wann man sich besser Hilfe suchen sollte. 

 

Dr. Sebastian Zaremba, «der beste Schlaf ist vor Mitternacht» – das haben wir schon unsere Grossmutter sagen hören. Stimmt es denn?

Sebastian Zaremba (schmunzelt): Da muss ich Sie und ihre Grossmutter leider enttäuschen. Denn das ist definitiv nicht so.

 

Wie ist es denn?

Im Grunde genommen spielt die reine Uhrzeit beim «guten Schlaf» keine grosse Rolle. Man kann also nicht sagen – und es gibt auch keine entsprechenden Studienergebnisse dazu –, dass der Schlaf vor Mitternacht besser wäre als derjenige nachher oder sonst wann. Wenn jemand Nachtschicht arbeitet und folglich tagsüber im Bett ist, kann er gleichwohl einen guten Schlaf haben und sich danach gut ausgeruht fühlen. Er hat dann halt einfach einen anderen Rhythmus, eine andere Schlafgewohnheit als andere.

 

Dann ist es grundsätzlich also kein Problem, spät ins Bett zu gehen?

Eigentlich nicht. Was zählt, ist die Länge des Schlafes und – ganz wichtig – eine Regelmässigkeit und Beständigkeit im Schlafverhalten.

 

Fangen wir bei Ersterem an: Wie lange sollte man denn optimalerweise schlafen?

Um die Antwort auf diese Frage besser einordnen zu können, sollten Sie Folgendes wissen: Wenn wir schlafen, durchlaufen wir Schlafzyklen. Ein Zyklus dauert rund 90 bis 120 Minuten und besteht aus verschiedenen Stadien. Leichtschlaf, mitteltiefer Tiefschlaf, Tiefschlaf und REM-Schlaf. Wir müssen hier nicht weiter ins Detail gehen. Aber entscheidend ist: Die Schlafzyklen wiederholen sich. Und wir wissen heute, dass Schlaf erholsamer wird, je mehr Schlafzyklen aneinandergereiht durchlaufen werden. Darüber hinaus ist die Schlafdauer individuell unterschiedlich. Für Erwachsene sind 6 bis 8 Stunden Schlaf aber optimal.

 

Und was hat es mit der Regelmässigkeit auf sich?

Es ist wichtig – und hilft uns, respektive unserem Körper –, wenn wir versuchen, jeden Tag ungefähr gleich viel und idealerweise auch zu ähnlichen Zeiten zu schlafen. Vereinfacht gesagt – und um das Prinzip zu veranschaulichen: Es ist nicht dasselbe, wenn man in einer Nacht nur vier Stunden schläft und in der anderen dann zehn. Unter dem Strich kommt man so zwar auch auf durchschnittlich sieben Stunden – aber zwei Mal sieben Stunden sind eben besser. Zudem ist es nicht empfehlenswert, wenn einmal um 19 Uhr ins Bett geht, dann wieder um Mitternacht und so weiter. Unser Körper entwickelt einen Rhythmus. Hält man diesen ein, fällt es den meisten leichter einzuschlafen – auch leichter sich zu erholen. Bringt man diesen aber ständig durcheinander, ist das nicht förderlich. Natürlich ist das generell gemeint. Sprich: Es spielt keine Rolle, wenn man mal die Nacht durchfeiert oder mal eine anstrengende Woche hat, in der man seine Schlafgewohnheiten nicht einhalten kann. So was liegt drin. Auch wer auf eine gesunde Ernährung achtet, darf hin und wieder ja mal «sündigen», ohne dass dies gleich schwerwiegende Konsequenzen hat. Wichtig ist, dass in der Regel gesunde Routinen gepflegt werden.

 

Es gibt Leute, die behaupten, dass sie mit nur drei bis vier Stunden Schlaf auskommen, und so eben überdurchschnittlich produktiv sind…

Sie sprechen wohl den einen oder anderen Manager an, der solchen Quatsch behauptet. Ich kann Ihnen ohne jeden Zweifel sagen: Leistungsfördernd oder gar gesund ist so wenig Schlaf für niemanden. Wer sich ein Leben mit so wenig Schlaf auferlegt, der tut dies auf Kosten seiner Gesundheit.

 

Wer zu wenig schläft, schadet sich also?

Definitiv, ja. Zahlreiche Studienergebnisse und auch Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass zu wenig Schlaf auf Dauer zum Beispiel das Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich steigert. Wer über lange Zeit nur drei bis vier Stunden pro Nacht schläft, muss in Kauf nehmen, dass sich seine Lebenserwartung verkürzt, sprich, dass er mit grosser Wahrscheinlichkeit also früher sterben wird. Unser Körper lässt sich nicht dermassen gravierend austricksen. 

 

Aber man kann vor- oder nachschlafen, das funktioniert, wenn’s mal nötig ist, oder?

Nein, da muss ich Sie auch enttäuschen. «Vorschlafen» oder «nachschlafen» ist höchstens gut gemeint – funktioniert im Grunde genommen aber nicht.

 

Wieso denn das?

Nehmen wir an, Sie wissen, dass es übermorgen spät werden wird oder sie gar nicht schlafen werden. Deshalb schlafen Sie heute Nacht einfach mal zwölf Stunden anstelle ihrer gewohnten sieben – so haben Sie vermeintlich also fünf Stunden «auf Vorrat» geschlafen. Nur: So funktioniert unser Körper schlicht und einfach nicht. Wenn Sie ein Auto fahren, können Sie den «Tank» auch nicht vergrössern, damit sie plötzlich eine weitere Strecke fahren können, nur weil sie’s gerade möchten. Der Tank ist immer gleich gross. Alles, was Sie tun können, ist, darauf zu achten, dass er vor einer langen Fahrt möglichst gefüllt ist. Gleich ist es auch beim Schlaf. Bleiben sie besser in Ihrer gewohnten Schlafroutine, damit kann der Körper am besten umgehen.

 

Aber «Nachschlafen», das funktioniert?

Nein. Aus demselben Prinzip. Natürlich schläft man nach einer durchzechten Nacht gerne mal etwas länger als sonst, dagegen ist auch nichts einzuwenden. Es ist ein natürlicher Reflex. Nur: Es geht auch hier unter dem Strich wieder um den Rhythmus – respektive darum, dass man diesen nicht über Mass brechen sollte. Machen Sie am Samstag die Nacht durch, und bleiben dann den ganzen Sonntag im Bett, werden Sie am Sonntagabend Schwierigkeiten beim Einschlafen haben, und Montagmorgen bei der Arbeit nicht fitter sein.

 

Aber einige vertragen eine durchzechte Nacht besser als andere, oder?

Ja, das mag sein. Menschen reagieren auf spezifische Gegebenheiten unterschiedlich. Der eine verträgt Alkohol oder scharfes Essen womöglich etwas besser als der andere. Der eine kann auch bei Lärm konzentriert arbeiten, der andere nicht. Auch in Sachen Schlaf gibt es individuelle Unterschiede. Fakt ist aber: Jedes Lebewesen auf unserem Planeten braucht Schlaf, respektive Phasen der absoluten Inaktivität und Ruhe. Selbst bei Pflanzen ist dies zu beobachten. Das kommt nicht von ungefähr.

 

Werden Schlaf und generell Ruhe in unserer hektischen Zeit bisweilen etwas unterschätzt?

Ich bin mit solch pauschalen Aussagen eher vorsichtig. Was ich bei vielen Menschen aber schon feststelle, ist, dass dem Schlaf oftmals einfach nicht die nötige Priorität eingeräumt wird im alltäglichen Leben. Wir machen Pläne, organisieren uns, haben unsere Termine, Events und Verpflichtungen. Jede Kleinigkeit verdient heute einen Kalendereintrag, damit wir sie nicht vergessen oder ausser Acht lassen. Aber schlafen? Das tun wir einfach so «nebenher», wir schenken dem oft gar keine echte Beachtung. Das ist problematisch. Gerade, wer viel um die Ohren hat, tut gut daran, sich bewusster mit seinem Schlaf auseinanderzusetzen.

 

Was sagen Sie zu Frühaufstehern und Nachtmenschen? Gibt es einen wissenschaftlichen Zugang zu diesem Phänomen?

Ja, das ist tatsächlich kein Mythos, es ist wissenschaftlich eindeutig belegt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Lerchen und Eulen. Lerchen hüpfen morgens problemlos aus dem Bett und sind schon in der Früh topfit und meist auch bestens gelaunt. Gegen Ende Nachmittag bauen sie ab, am Abend gegen 21 Uhr werden sie müde und spätestens um 22 Uhr ist der Tank dann komplett leer. Eulen hingegen tun sich zu Tagesbeginn schwer – und sind nicht selten genervt von den munteren Lerchen. Abends sind sie es dann aber, welche die Lerchen nerven. Denn wenn deren Tag vorbei ist, kommen die Eulen erst so richtig in Fahrt.

 

Die Menschheit teilt sich also in Lerchen und Eulen…

(schmunzelt) Wenn Sie so wollen: Ja. Natürlich gibt es aber unterschiedlich starke Ausprägungen. Es leben auch moderate Lerchen und weniger nachtaktive Eulen unter uns. Aber im Grundsatz ist das Phänomen von Frühaufsteher und Abendmensch ein Fakt.

 

Ist es Zufall, ob ich als Lerche oder Eule geboren werde?

Nein, es ist eher genetisch bedingt. Wir gehen heute davon aus, dass das Lerchen- oder Eulen-Gen vererbt wird.

 

Schlechte Nachrichten für die Nachtmenschen unter uns, wenn man sich das Arbeitsleben vor Augen führt: In den meisten Jobs muss man als Angestellter morgens früh raus und hat dann so zwischen 17 und 19 Uhr Feierabend. Keine sehr Eulen-freundlichen Zeiten…

Ja, das ist so. Immerhin bieten flexible – oder zumindest flexiblere – Arbeitsmodelle der einen oder anderen Eule heute etwas mehr Spielraum. Aber ideal ist es in weiten Teilen nicht, das stimmt.

 

Wer hat eigentlich die Überhand: Lerchen oder Eulen?

Dazu gibt es keine Erhebungen. Was man weiss, ist, dass sich der Typus mit dem Erwachsenwerden festigt. Kinder sind mehrheitlich Eulen. Was eigentlich in krassem Widerspruch zu unserem Schulsystem steht. Die Kleinen müssen bei uns morgens um 8 in der Schulbank sitzen und sollen dann aufnahmefähig sein und lernen. Viele tun sich schwer damit – und können eigentlich nichts dafür.

 

Schulstart in der Primarstufe also um 10 und Schulende gegen 17 Uhr wäre besser?

Aus schlafmedizinischer Sicht ist das so, ja. Aber eben: Die meisten von uns werden sich ihr ganzes Berufsleben über mit Kompromissen bei ihrem Biorhythmus arrangieren müssen. Da ist wohl nicht viel dran zu ändern. Und es beginnt für viele eben schon in der Schule.

 

Kann eine Lerche zur Eule werden – oder umgekehrt?

Ja. Oft nimmt die Nachtaktivität im Verlauf des Lebens ab und die Aktivität verschiebt sich tendenziell eher in den Tag, respektive früher in den Morgen hinein. Viele Eulen mutieren also im Alter zu Lerchen. Das Umgekehrte ist hingegen eher selten.

 

Sie haben eingangs erwähnt, wie wichtig eine gewisse Regelmässigkeit beim Schlafen ist. Viele haben eine solche Regelmässigkeit oder zwingen sie sich – jobbedingt – zumindest auf. Diese gilt dann aber nur Montag bis Freitag. Wie wichtig wäre es, die Schlafroutine auch am Wochenende aufrechtzuerhalten?

Prinzipiell wäre es gut, wenn man zumindest die Länge des Schlafs, also idealerweise die erwähnten 6 bis 8 Stunden, auch am Wochenende beibehalten würde. Einfach um den Rhythmus nicht ständig und ihn krasser Form zu brechen. Das heisst nicht zwingend, dass man samstags auch um 21 Uhr ins Bett muss, nur weil man dies unter der Woche tut. Wenn man da zwei, drei Stunden später ins Bett geht, ist das völlig okay. Man sollte dann aber idealerweise diese zwei, drei Stunden später aufstehen – und nicht sechs Stunden später. Sonst riskiert man einen Social Jetlag.

 

Social Jetlag?

Der Begriff steht in der Schlafmedizin für die Diskrepanz zwischen der inneren biologischen Uhr – oder eben dem angewöhnten Schlafverhalten – und äusseren sozialen Einflüssen oder Verpflichtungen, die zwischen verschiedenen Wochentagen variieren.

 

Und was heisst das konkret?

Machen wir ein vereinfachtes Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie schlafen in der Nacht von Samstag auf Sonntag plötzlich 11 Stunden anstelle Ihrer gewohnten 7 Stunden unter der Woche. Dann gewinnen Sie oberflächlich betrachtet also 4 Stunden Schlaf auf die Schnelle und glauben, sie hätten damit irgendwas kompensieren oder «auf Vorrat» schlafen können. Dies ist jedoch ein Trugschluss. Aus schlafmedizinischer Sicht setzt diese Verschiebung einen Effekt, eine «Verschiebung», in Gang, die mit dem bekannten Jetlag aus der Fliegerei verglichen wird – vom Prinzip her. Wenn Sie Sonntagmittag um 12 Uhr von Zürich nach New York fliegen, gewinnen Sie 6 Stunden. Denn, wenn sie in New York ankommen, ist es dort – aufgrund der Zeitverschiebung – nicht 20 Uhr, sondern erst 14 Uhr. Fliegen Sie aber umgehend wieder zurück, und das tun sie im übertragenen Sinne – mit Blick auf den Montag, wenn sie frühmorgens wieder zur Arbeit erscheinen müssen –, dann verlieren Sie diese vermeintlich gewonnene Zeit schlagartig wieder. Mehr noch: Jetzt zahlen sie – quasi auf dem Rückflug – gefühlt sogar noch drauf, was das Zeitempfinden betrifft. Entsprechend schlapp fühlen Sie sich montagmorgens.

 

Es ist also ratsam, am Wochenende keine schlaftechnischen Interkontinentalflüge zu unternehmen...

Darauf läuft’s hinaus, ja. Wobei ich hier betonen muss, dass der Social Jetlag nicht jede und jeden gleich hart trifft. Wir stellen fest, dass der Effekt einen stärkeren Einfluss auf Personen hat, die ohnehin schon Probleme mit ihrem Schlaf haben. Wer also schlecht schläft, dessen Situation verschlechtert sich durch Social Jetlag noch zusätzlich. Wer keine Schlafprobleme hat, kann Schwankungen am Wochenende besser ausgleichen.

 

Es kursieren unzählige Ratschläge und Tipps, was man tun oder eben nicht tun sollte, um besser einschlafen zu können. Sport am Abend beispielsweise soll wahnsinnig gut sein. Stimmts?

Ja und nein. Grundsätzlich ist Sport am Abend empfehlenswert für einen guten Schlaf. Jedoch sollten zwischen körperlichen Höchstleistungen und dem Zubettgehen mindestens 2 Stunden liegen. Wer bis 20 Uhr ein Tennismatch bestreitet, dann nach Hause eilt, unter die Dusche hüpft und um 20.30 einschlafen will, hat ein Problem. Unser System braucht Zeit, um herunterfahren zu können. Ähnlich ist es übrigens mit dem Nachtessen: Wer eine «Höchstleistung» vollbringt, also enorm lang und viel isst, der braucht danach mehr Zeit. Wer’s hingegen gemächlicher angeht – also nur einen Spaziergang macht oder ein leichtes, bekömmliches Nachtessen zu sich nimmt –, der ist schneller im Ruhemodus.

 

Und bei den Getränken? Kamillentee, Baldrian, Lavendel?

Das mag einige nun verwundern, aber: Eigentlich ist es relativ egal, was man abends trinkt, sofern es nicht Alkohol ist. Entscheidender ist viel mehr, wie man es trinkt.

 

Nämlich wie?

Es ist förderlich, wenn sie vor dem Zubettgehen weder übermässig kalte noch heisse Getränke zu sich nehmen. Am besten: warme. Also so um die 40 Grad. Tee ist unbestritten gesund und es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden – aber ein Glas Wasser tut’s auch. Und Vorsicht: Wer vor dem Zubettgehen zu viel trinkt, der muss nachts wahrscheinlich auf die Toilette und unterbricht so seine Schlafphase. Weniger ist da also mehr.

 

Gibt es Dinge, die man vermeiden sollte, um besser einschlafen zu können?

Die Mediennutzung ist in unserem Alltag sicherlich ein erwähnenswerter Punkt – also beispielsweise das Verweilen auf Socialmedia-Plattformen am Handy im Bett. Der Bildschirm an sich ist dabei nicht entscheidend – der «Nachtmodus» mit weniger blauem Licht auf dem Screen ist kein Game-Changer. Vielmehr geht es um die Beschäftigung mit Inhalten. Wer sich TikTok-Videos anschaut oder noch geschäftliche E-Mails checkt im Bett, der ist in einem Zustand der Unruhe. Entsprechend schwerer fällt es, einzuschlafen.

 

Viele lesen ein Buch zum Einschlafen. Da beschäftig man sich auch mit Inhalten…

Das ist so. Wer einen Krimi an seiner spannendsten Stelle zur Hand hat, der wird auch kaum schnell ins Land der Träume entschwinden. Denjenigen, die als Einschlafritual lesen, empfehle ich: Nicht mehr als 3 Seiten. Danach das Buch weglegen.

 

Zum Einschlafen einen Podcast hören – gute Idee?

Wenn es hilft zu entspannen und zur Ruhe zu kommen: Wieso nicht. Das muss jeder selbst für sich rausfinden. Ähnlich ist es auch beim Fernsehen. Ich würde nicht per se sagen, dass es «schlecht» ist vor dem TV einzuschlafen. Denn: Wenn man dabei einschläft, kann es ja ganz offensichtlich nicht ganz verkehrt sein. Die Frage ist, ob man dann auch durchschlafen kann – ob es bequem genug ist auf dem Sofa oder der Couch die ganze Nacht. Wacht man jedes Mal morgens um 3 auf und muss dann noch die Zähne putzen und ins Bett «zügeln», ist das nicht ideal.

 

Aber man könnte sagen: Besser ein Einschlafritual als gar keines?

Das ist total individuell. Rituale oder Gewohnheiten sind gut – wenn sie helfen. Wichtig ist, dass man’s nicht übertreibt.

 

Was meinen Sie damit?

Wer jeden Abend fünf Stunden lang seine Einschlafrituale durchgeht, der macht was falsch… In der Zeit, die man in die Schlafvorbereitung investiert, würde man lieber schlafen. Abgesehen davon gibt es auch viele Menschen, die überhaupt kein Einschlafritual haben – die knipsen einfach das Licht aus, und gut ist.

 

Wechseln wir aus der Praxis kurz in die Theorie: Aus Kreisen von Ernährungswissenschaftlern hat man schon gehört, dass es eigentlich das beste Konzept wäre, dann zu essen, wenn man hungrig ist – völlig unabhängig der Zeit. Könnte man das auch aufs Schlafen übertragen?

Sie meinen, einfach dann schlafen, wenn man müde ist? Grundsätzlich wäre dagegen – sämtliche Lebensrealitäten mal ausgeklammert – wohl nicht viel einzuwenden. Schauen Sie sich Kleinkinder an. Sie tun im Grunde genommen genau das: Sie schlafen dann, wenn ihnen danach ist, ergo immer, wenn sie gerade müde sind. Man nennt das «poly-phasisches Schlafen». Babys und Kleinkinder sind also sehr nah an diesem von Ihnen beschriebenen Konzept. Oft eine Herausforderung für Eltern, weil dies eben nicht nur tagsüber, sondern auch nachts der Fall ist.

 

Ist es wahr, dass man während des Schlafes «lernen» kann? Und falls ja: Was ist damit genau gemeint?

Tatsächlich belegen neurologische Untersuchungen, dass das Hirn im Schlaf neue Informationen mit bereits bestehendem Wissen verknüpft. Das bedeutet also nicht, dass Ihnen Ihr Kopf das Auswendiglernen einer Liste von neuen französischen Wörtern im Schlaf abnehmen könnte. Aber wenn es um das Verknüpfen und Konsolidieren von Gelerntem mit Bestehendem geht, sind erstaunliche Ergebnisse zu beobachten. Wenn Sie also zum Beispiel Klavier spielen und sie beschäftigen sich am Tag mit einem neuen, schwierigen Stück und üben dieses immer und immer wieder, dann wird ihr Hirn ihnen im Schlaf helfen, die neuen Bewegungsabläufe mit ihren bereits bestehenden Fähigkeiten zu verknüpfen. Folglich wird Ihnen das Spielen des Stücks tags darauf leichter fallen.

 

Wie ist das möglich?

Unser Hirn ist hochkomplex – seine Funktionsweise und das Zusammenspiel mit unseren psychomotorischen Fähigkeiten längst noch nicht fertig erforscht. Was beim Schlafen in diesem Kontext passiert, ist – sehr vereinfacht gesagt – ein dreistufiges Prinzip, das man sich mit einer Eselsbrücke zum Coiffeur merken kann: «Waschen, Schneiden, Legen». Das «Waschen» steht für das Rauswaschen von Stoffwechsel-Endprodukten aus dem Körper während des Schlafs, beim «Schneiden» werden Nervenverbindungen zurückgestutzt – was also nicht mehr gebraucht wird, kurzzeitige Erinnerungen, Nebensächlichkeiten, etc. – wird gelöscht. Und beim «Legen» werden dann eben neugelernte Inhalte mit bestehendem Wissen verknüpft. Unser Hirn ist also ein Supercomputer, der sich ständig selbst wartet und in erstaunlichem Masse erweitern kann.

 

Bei Schlafstörungen greifen manche Leute zu Schlaftabletten. Was ist dabei zu beachten?

Schlaftabletten haben ihre Berechtigung. Aber ausschliesslich dann, wenn sie akut eingesetzt werden. Sie sind deshalb zurecht nur auf ärztliche Verordnung zu erhalten – und man sollte damit höchst vorsichtig sein. Denn Schlaftabletten lösen nachweislich kein einziges Schlafproblem, sie sind eine reine Notfall-Massnahme. Nimmt man sie länger als ein paar Nächte ein, beginnt sich der Körper bereits daran zu gewöhnen, was dazu führt, dass die Wirkung im weiteren Verlauf immer mehr nachlässt, die Dosis erhöht werden muss – und dadurch die grosse Gefahr einer Abhängigkeit entsteht.

 

Wenn alles nichts hilft: Wann sollte man sich in ärztliche Behandlung begeben und Schlafstörungen medizinisch abklären lassen?

Es gibt drei Anzeichen, die auf eine ernstzunehmende Schlafstörung hindeuten – und bei denen man aus meiner Sicht unbedingt einen Arzt, respektive eine Schlafklinik aufsuchen sollte:

  • Chronische Einschlafstörungen: Sie können seit über drei Monaten nicht mehr richtig einschlafen.
  • Tagesschläfrigkeit: Ihnen fallen die Augen zu, sie «nicken ein» tagsüber, egal wie viel sie nachts geschlafen haben.
  • Nächtliche Wachphasen: Sie können nachts regelmässig und über längere Zeit nicht durchschlafen, wachen einmal oder mehrfach auf.

 

 

• Weitere Informationen zum Angebot der Klinik für Schlafmedizin bei ZURZACH Care in Luzern erhältst du auf: www.zurzachcare.ch/schlafmedizin

• Neuste Statistiken & Fakten rund ums Thema Schlafstörungen in der Schweiz findest Du im Artikel hier

 

 

Frag' den Experten!

Dir ist beim Lesen des Interviews was durch den Kopf gegangen? Du hast rund ums Thema Schlafen noch eine Frage an Dr. Zaremba? Dann nutze die Gelegenheit und  SCHREIBE UNS, was du von ihm wissen möchtest. Wir werden die gesammelten Fragen & Antworten hier auf der Website in einem separaten Beitrag publizieren. 

Dr. med. Jens Sebastian Zaremba studierte Medizin an der Universität Duisburg-Essen in Deutschland. Bereits während seines Studiums beschäftigte er sich wissenschaftlich mit schlafmedizinischen Themen, insbesondere Schlafapnoe und schlafbezogenen Kopfschmerzen. Seine Ausbildung zum Facharzt für Neurologie absolvierte er am Universitätsklinikum Bonn der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er war dort während neun Jahren in verschiedenen Funktionen tätig, zuletzt als stellvertretender Leiter des Schlaflabors. Vor seinem Wechsel zu ZURZACH Care war Zaremba Leiter der ambulanten Schlafmedizin am Seeklinikum Brunnen. Auslandsaufenthalte führten ihn unter anderem an das Johns Hopkins Hospital in Baltimore (USA) sowie zu einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt an die Harvard Medical School in Boston, wo er zu verschiedenen schlafmedizinischen Themen forschte. Dr. Zaremba publiziert fortlaufend in internationalen Fachzeitschriften zu schlafmedizinischen Themen und ist Autor mehrerer Lehrbuchartikel zum Thema Schlafmedizin.

Seit 2021 ist Dr. Zaremba als Chefarzt in der Klinik für Schlafmedizin in Luzern tätig. Er ist Mitglied der Geschäftsleitung der Kliniken für Schlafmedizin, assoziiert mit der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn), und ist Mitglied der unternehmensinternen Forschungsgruppe von ZURZACH Care.